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Stellungnahme zu Online-Wahlen

Stand: 25.11.2020

Die Fachschaft Informatik vertritt die folgende Haltung zum Thema Online-Wahlen, insbesondere bezüglich dem momentan von der TU angedachten System, das von der Firma Polyas angeboten wird:

Die Bundesfachschaftentagung der Informatik (KIF) hat 2018 auf der KIF 46,0 im Konsens eine Liste von Mindestanforderungen für die Nutzung von Onlinewahlsystemen im Rahmen von Hochschulwahlen verabschiedet [0]. Diese fordert die Einhaltung der Grundsätze geheimer Wahlen (allgemein, unmittelbar, gleich, frei & geheim) und nennt aus unserer Expertensicht konkrete Anforderungen, damit dies umgesetzt werden kann. Dazu gehören zum Beispiel die vollständige Öffentlichkeit des verwendeten Systems sowie die Nachvollziehbarkeit des kompletten Wahl- und Auszählungsprozesses für alle Wahlberechtigten (bei gleichzeitiger Einhaltung der geheimen Wahl). Die KIF 46,0 kam ebenfalls im Konsens zum Schluss, dass diese Anforderungen bei der von der Firma Polyas vertriebenen Software nicht erfüllt werden [1]. Gleichzeitig ist uns aktuell kein auf dem Markt erhältliches Softwaresystem bekannt, das die Anforderungen umsetzt, also digitale Wahlen auf dem Niveau einer Urnenwahl erlauben würden, so dass die KIF (genau wie viele andere Informatiker*innen) digitale Wahlen aktuell ablehnt.

Zudem konnten viele Hoffnungen an digitale Wahlsysteme (wie zum Beispiel eine gesteigerte Wahlbeteiligung) an Hochschulen, die bereits seit einigen Jahren auf Onlinewahlen setzen, nicht erreicht werden. Weitere Probleme von Onlinewahlen sind zum Beispiel die (Un-)Übersichtlichkeit - gerade bei langen Wahllisten werden Personen oder Listen, die nur durch Scrollen zu sehen sind, systematisch benachteiligt. Die technische Umsetzung ist zudem häufig mangelhaft und bleibt noch unter dem von Polyas angepriesenen Sicherheitsniveau zurück - beispielsweise könnte eine nachträgliche Zuordnung von Stimmen zu Personen durch die Verwendung von auf dem Postweg zugestellten Einmal-Zugangskennungen deutlich erschwert werden, die meisten Hochschulen setzen jedoch auf eine Verwendung der normalen Zugangsdaten.

Bestimmte Umstände erlauben aus einer rechtlichen Perspektive einen sogenannten Gestaltungsspielraum, also Wahlgrundsätze nur teilweise zu erfüllen. Ein Beispiel dafür ist die Briefwahl, bei der zwar möglicherweise die freie und geheime Wahl eingeschränkt sind, dafür aber die allgemeine Wahl aber gestärkt wird, weil so auch Personen wählen können, denen es nicht möglich ist, vor Ort ihre Stimme abzugeben. Eine Onlinewahl hat bezüglich der Stimmabgabe ähnliche Einschränkungen bei der freien und geheimen Wahl sowie die Möglichkeit für Personen von beliebigen Orten zu wählen wie die Briefwahl, jedoch ist die Auszählung vollständig intransparent. Während eine Briefwahl, wie die Urnenwahl auch, öffentlich ausgezählt werden kann, ist der Auszählungsprozess bei einer Onlinewahl selbst mit fundierten Mathematik- und Informatikkenntnissen nicht nachvollziehbar. Dies widerspricht der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 03. März 2009 geforderten Öffentlichkeit von Wahlen [2]. Bei einem geschlossenes System, wie dem von der Firma Polyas vertriebenen, wäre es sogar ausgewiesenen Expert*innen aus diesem Bereich nicht möglich, die Auszählung zu überprüfen, eine Überprüfbarkeit für alle Wahlberechtigten ist völlig undenkbar.

Ein genereller Einsatz von Onlinewahlen ohne besondere Umstände ist daher aus unserer Sicht als demokratischer Rückschritt zu bewerten und folglich abzulehnen.

Dennoch ist uns natürlich auch bewusst, dass die aktuelle Situation einen gewissen Pragmatismus erfordert. Es ist nicht wünschenswert, die Amtszeit der Studierendenvertreter*innen noch ein weiteres Jahr zu verlängern, folglich ist es notwendig, ein Konzept für Wahlen aufzustellen, die auch unter Corana-Bedingungen (Hygieneanforderungen, viele Studierende sind nicht in Darmstadt und können auch nicht einfach hierher kommen) durchführbar sind. Wir möchten unsere damit betrauten Vertreter*innen jedoch dazu aufrufen, von Anfang an die klare Linie zu vertreten, dass ein solches Ersatzkonzept ausschließlich für den Zeitraum der Kontaktbeschränkungen gelten soll und Urnenwahlen sofort wieder vorzuziehen sind, sobald sie gefahrlos umgesetzt werden können.

Wir möchten außerdem dazu aufrufen, nicht nur Onlinewahlen als mögliche Umsetzung zu betrachten, sondern auch den Einsatz von Briefwahlen gründlich zu prüfen und zum Beispiel nur für die Beantragung der Wahlunterlagen auf ein Onlinesystem zu setzen. Die Universität verschickt jedes halbe Jahr die Semesterickets an 27.000 Studierende, in den letzten Wochen wurden an alle 5.000 Mitarbeiter*innen die neuen Landestickets per Post verschickt (die zudem alle einer Rückantwort, ebenfalls per Brief, bedurften). Bei einer Wahlbeteiligung von typsicherweise unter 20 % ist mit einem Briefaufkommen von nicht mehr als 6.500 Briefen pro Richtung zu rechnen, das sollte bei entsprechender Vorbereitung durchaus machbar sein. Die Kosten dafür sind natürlich zu ermitteln, jedoch muss damit gerechnet werden, dass auch eine Onlinewahl, gerade wenn sie mit dem Sicherheitsniveau der Zusendung von Einmalkennungen durchgeführt werden soll, durchaus gewisse Kosten verursachen kann, die sogar über die einer Briefwahl hinausgehen können.

[0] https://wiki.kif.rocks/wiki/KIF460:Resolutionen/Elektronische_Wahlen

[1] https://wiki.kif.rocks/wiki/KIF460:Resolutionen/Ablehnung_der_Online-Wahl_von_Polyas

[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2009/bvg09-019.html